Sebastian Zilse

New Work – alter Wein in neuen Schläuchen?

26.6.2023

New Work als Schlagwort hat seinen Höhepunkt mittlerweile erreicht und dominiert Debatten auf Messen, sozialen Netzwerken und in der ganzen Beratungsszene. In der Fachliteratur gibt es diesen Begriff praktisch nicht. Es besteht auch unter den Beratern keine Einigkeit, was darunter zu verstehen ist und was nicht. Firmen definieren die Begriffe und was damit zusammenhängt mittlerweile selbst, was mehr als Marketing-Gag wirkt, denn als eine fundierte Position. Eine Rundschau zeigt die gängigsten Charakteristika von New Work sind: Homeoffice, Flexibilität, Sinnhaftigkeit, flache Hierarchien / Führung auf Augenhöhe, Wertewandel, Wohlfühlambiente & ergonomische Arbeitsplätze, Weiterbildungen, Transparenz. Die Liste könnte aber ins Unendliche fortgesetzt werden, weil letztlich Arbeit und manchmal das ganze Leben darunter sortiert wird. Grenzen scheint es keine zu geben. Was darunter eben nicht zu verstehen ist, schreibt niemand auf seine Webseite.

Wozu der Begriff?

Der Begriff vermittelt auf der einen Seite Aufbruch zu etwas Neuem und auf der anderen Seite Abkehr von etwas Altem. Damit deklassiert er alles Vorherige als «Old Work». Wer also kein Homeoffice macht, ist mehr oder weniger automatisch ein konservativer Traditionalist. Schlagwörter wie Digitalisierung reihen sich meist gleich an und zeigen, dass sich Arbeitstechniken ständig ändern, aber weniger als Ausdruck einer Haltung, sondern als Folge der technischen Fortschritte. Was gestern noch neu war, wird bald schon üblich sein. Wie nennen wir New Work allerdings in 10 Jahren? «Old New Work»? Und gibt es dann ein «New New Work»? Der Begriff ist also eine glänzende Verpackung, die mal mehr mal weniger Inhalt hat.

Ein Blick hinter die Kulisse

Homeoffice. Keine Erfindung von Corona, sondern als Phänomen der Arbeit bereits seit den 1970er Jahren bekannt. Zuhause arbeiten an sich, gibt es solange es Menschen gibt. Der Laden unten im Erdgeschoss, die Wohnung darüber. Altstädte folgen dieser Architektur. Neu ist hier also nichts. Das Ausmass ist es allerdings. Im Jahr 2021 arbeiteten in der Schweiz ca. 40% der Arbeitnehmenden und Selbständigen im Homeoffice, was ungefähr 1,8 Mio Menschen entspricht. Das ist viel. Aber die andere Seite sind 3,5 Mio Menschen, also mehr, deutlich mehr! Und wenn uns die Pandemie eines gezeigt hat, dann wie essenziell die Berufe sind, die kein Homeoffice machen können. Diese in einer Debatte zu vergessen, die sich anschickt die Arbeitswelt anzusprechen, darf nicht 60% vergessen. Etwas Zurückhaltung täte hier gut. Die Schattenseiten des Homeoffices werden zumeist vernachlässigt: Einsamkeit und fehlende soziale Unterstützung wirken sich nämlich negativ auf das Engagement und die Reichhaltigkeit der Arbeit aus. Das und noch viel mehr nachzulesen bei Lapierre 2016.

Flexibilität. Wird eigentlich Autonomie genannt und beschäftigt sich mit der Frage inwiefern man auf der Arbeit über das Wie, Wann, Womit und die Reihenfolge der Aufgaben entscheiden kann. Das Was bleibt davon unberücksichtigt. Je mehr Anforderungen die Arbeit an Mitarbeitende stellt, desto autonomer sollten sie arbeiten können. Aber hier fehlt es an einem Beipackzettel, wie er sonst auf jedem noch so pflanzlichen Arzneimittel steht. Hat man nämlich mehr Autonomie, muss man die Arbeitsorganisation selbst vornehmen, Zeit einteilen, selbst priorisieren etc. Damit können einige Mitarbeitende auch überfordert werden, auch hat nicht jeder Mitarbeitende überhaupt das Bedürfnis danach. Wird die Autonomie eine Voraussetzung für die Arbeit, handelt es sich eher um eine Anforderung und damit mehr um eine Beanspruchung, als um eine Ressource. Will man dann die Persönlichkeit von Menschen umstricken, die das bisher nicht tun mussten, werden solche Workshops zu «Umerziehungscamps». Autonomie setzt also steigende Fähigkeiten voraus, damit Mitarbeitende den gestiegenen Anforderungen auch gewachsen sind. Das sagt aber auch schon die Boundary Theroy von Ashforth im Jahr 2000, was auch schon 23 Jahre her ist. Diese Theorie der Grenze, sagt eben, dass es eine Grenze gibt, aber bei New Work wird ungern über Grenzen gesprochen. 

Sinnhaftigkeit. Hier schmiegt sich «New Work» meist gefährlich nahe an das Thema der Generationen. Junge Generationen suchten mehr Sinnhaftigkeit in ihrem Job als ältere. Meistens wird dabei über Medizinberufe gesprochen, weil es dort augenfälliger ist etwas Sinnvolles zu tun, schliesslich rettet man Menschenleben. Das appelliert an unsere softe Seite und an unser Bedürfnis von anderen als guter Mensch wahrgenommen zu werden, also eigentlich auch wieder Anerkennung. Aber mal Hand aufs Herz: Wer möchte denn etwas völlig Sinnfreies tun? Ohnehin gibt es einen Job und diesen hat die Firma schon mal als sinnvoll betrachtet. Seltener spricht man hier über Firmen wie Glencore, die die Rohstoffe verarbeiten, die für die tollen Geräte im Homeoffice benötigt werden oder Investmentbanker, die durch geschickte Anlagen das Vermögen der Altersvorsorge erhöhen und somit auch Altersarmut bekämpfen. Sie merken wahrscheinlich: Sinn gibt man selbst. Das haben auch schon Hackman und Oldham 1976 mit dem Job Chracteristics Model bemerkt. Danach sollte Arbeit 5 Charakteristiken haben: Anforderungsvielfalt, Ganzheitlichkeit, Bedeutsamkeit, Autonomie und Rückmeldung über die Arbeitsergebnisse. Daraus folgen 3 psychische Zustände, die Mitarbeitende erreichen können: Kenntnis über die eigenen Arbeitsergebnisse, erlebte Verantwortung für die Ergebnisse der eigenen Arbeit und erlebte Sinnhaftigkeit. Das steckt in jedem Job. Man muss sie nur herausschälen, was nicht immer einfach ist, weil man sich selbst in einen grossen Kontext setzen muss, manchmal einen globalen Kontext, damit die Bedeutung der eigenen Arbeit hervortritt. Aber eben: 1976! Neu ist das auch nicht.

Flache Hierarchien. Neue Arbeitsformen haben die Zusammenarbeit nicht nur unter Teammitgliedern verändert, sondern auch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden. Das heisst, dass Führung heute vermehrt auf einem coachenden Ansatz beruht. Damit soll das traditionelle Gefälle zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften ausgeglichen werden. Für Mitarbeitende bringt das auch einige Herausforderungen mit sich, indem von ihnen mehr Wissen und mehr Fähigkeiten gefordert werden. Neben dem Wissen, das Mitarbeitende mitbringen müssen, brauchen sie auch ein ausgeprägtes Bedürfnis sich mehr zu entfalten. Ist es allerdings schlimm, wenn sich Mitarbeitende nicht vollkommen in ihrer Arbeit verwirklichen sondern einfach einen guten Job machen wollen und den Kern ihrer Person in anderen Bereichen suchen? Je nach Firma braucht man durchaus Mitarbeitende, die vorne laufen und Fahnen tragen. Aber mal ehrlich: Arbeit ist auch nicht alles, sondern man kann sich z.B. auch in sozialem Engagement, nervenkitzelnden Freizeitsportarten oder der eigenen Familie verwirklichen und muss nicht für seinen eigenen Job brennen. Das ist manchmal etwas unpopulär zu sagen, während sich andere mit der eigenen Arbeit unbedingt selbst verwirklichen wollen. Aber es ist deswegen nicht schlecht.

Wertewandel. Die meisten Werte, die Mitarbeitende heute mitbringen ähneln sich oder sind eigentlich vollkommen gleichgeblieben, wenn man sie mit denjenigen von älteren Personen vergleicht. Der herausstechende Punkt ist jedoch, dass die Freizeit gegenüber der Arbeit an Bedeutung gewonnen hat. Das eine schliesst das andere allerdings nicht aus. Schwierig ist, dass der Tag weiterhin 24 Stunden hat. Auch wenn ich mehr will, wird er nicht mehr bekommen. Die Werte der Arbeit sind also nicht unwichtiger geworden, sondern die Freizeit ist jetzt ebenfalls wichtig geworden. Zum Nachlesen in Twenge, Campbell, Hoffman, & Lance, 2010. Dass sich allerdings «die» Werte gewandelt haben, kann man so nicht sagen, denn die waren da, sind auch immer noch da und einer ist jetzt wichtiger geworden. Die Freizeit ist übrigens kontinuierlich wichtiger geworden. Deswegen kann man auch hier nicht von einer «neuen» Generation sprechen.

Fazit. Je nach Auslegeordnung stecken hinter «New Work» gute Sachen und eigentlich wollen die «New Work»-Leute was Gutes tun. Der Begriff vermittelt Aufbruch, ist es aber nicht. Sondern er steht in einer Reihe alter und gut erforschter Veränderungen, die die Arbeitswelt seit jeher weiterentwickelt haben. Die glänzende Verpackung hat an vielen Stellen Schlupflöcher für Bullshit. Hört man also «New Work», muss man sich erst mal erklären lassen, was denn eigentlich dahinterstecken soll und vor allem kritisch bleiben.

Sebastian Zilse

MSc.
Arbeits- und Organisationspsychologe